Grundschule Solingen Wiener Straße

Ein ganz normaler Tag am 30. Juni 2012

Text von Miriam Hammacher

Wir schreiben den 30. Juni 2012 – Samstagmorgen – 8 Uhr - Traumwetter. Bereits seit kurz nach sieben vernehmen die Anwohner der Wiener Straße merkwürdige Geräusche und eine spürbare Aufregung liegt in der Luft. Ein Straßenabschnitt wird gesperrt. Die Schule ist offen und immer mehr Menschen wuseln durchs Gebäude, bauen verschiedene Stationen im und außerhalb des Gebäudes auf, alles wird festlich geschmückt und der Getränke- und Obststand wird aufgebaut. Nach und nach verwandelt sich der Schulhof in einen richtigen Parcours und auch die Turnhalle wird geöffnet. Viele fleißige Helfer sind mit Feuereifer bei der Sache und gegen acht wird die Spannung dann immer größer – 270 neugierige Grundschüler betreten das Schulgelände, versammeln sich in ihren Klassenräumen und werden dort auf den bevorstehenden Tag vorbereitet.

Neugierig und aufgeregt werden die T-Shirts übergezogen, Namensschilder befestigt und ein erster Blick auf den Stationenplan geworfen. „Wann gehen wir zu den Rollstühlen?“, „Hast du die Straßensperrung gesehen? Fahren wir da später Tandem?“ und „Wozu brauchen wir noch mal die Gewichte auf dem Spielplatz?“ Dies ist wohl nur eine kleine Auswahl an Fragen, die um kurz nach acht die Runde machen. Die Kinder sind kaum zu bremsen und würden sich am liebsten sofort auf die verschiedenen Stationen stürzen.

Doch vorher geht es um Punkt halb neun mit der gesamten Schule auf den großen Schulhof. Plötzlich ertönt Musik und schnell stimmen alle in das uns so gut bekannte Lied „Im Land der Blaukarierten“ ein. Danach werden wir alle ganz herzlich von Herrn Weik und Herrn Widera begrüßt. Einige Kinder aus der 2. Klasse entdecken zwei gehörlose Menschen und sind völlig fasziniert von ihrer Unterhaltung.

Dann endlich hat das Warten ein Ende und es geht los. In den nächsten Stunden sieht und hört man ein reges Treiben. Man sieht Erstklässler, die bei der Station der Beinamputierten selber ausprobieren, wie es ist sich mit Krücken fortzubewegen und merken, dass gerade das Treppensteigen einiges an Anstrengung erfordert. Eine Gruppe Zweitklässler zieht sich Westen mit Gewichten an. Wer möchte, bekommt zusätzlich auch noch Gewichte um Arme und Beine. Danach wird ein kleiner Hindernisparcours bewältigt, was bei einigen aufgrund der hohen Gewichte zur echten Herausforderung wird. Ein erleichtertes Stöhnen ist zu vernehmen, als die Gewichte schließlich wieder abgelegt werden dürfen. Im Waldstück unseres Schulhofes ist es ganz still geworden. Hier findet der Vertrauensparcours statt und dies nehmen die Kinder sehr ernst. Ein Kind zieht sich eine Augenbinde über und wird anschließend von einem anderen Kind an einem Seil entlang geführt. Viele berichten von einem Kribbeln im Bauch oder einfach einem komischen Gefühl. Kommt man der Turnhalle näher, so sind schon von draußen begeisterte Kinderstimmen zu hören. Hier dürfen die Kinder einige Übungen im Rollstuhl absolvieren und das macht so viel Spaß, dass sie teilweise überlegen auf den nächsten Wunschzettel doch vielleicht einen Rollstuhl drauf zu schreiben. „Aber nur als so eine Art Fahrradersatz.“ Die Stunden vergehen wie im Flug und jede Klasse durchläuft die unterschiedlichen Angebote wie Rollstuhlspiele, Wettlauf der Übergewichtigen, Springen der Beinamputierten, Lauf der Blinden, Vertrauensparcours der Blinden, Übungen für Blinde, Übungen der Gehörlosen, Lauf der Gehbehinderten, Übungen für Armverletzte, Hindernislauf mit Blindenstock und für viele ein absolutes Highlight: das Tandemfahren der Blinden. Hier müssen sich viele wirklich überwinden blind auf ein Fahrrad hintendrauf zusteigen und mitzufahren. An jeder einzelnen Station wird den Kindern auf wundervolle Weise spielerisch ermöglicht, sich in die unterschiedlichen Behinderungen einzufühlen und ganz außergewöhnliche Erfahrungen zu sammeln.

Um 13 Uhr wird es dann noch einmal besonders spannend, denn nun beginnt unser offizielles Schulfest und die Stationen bleiben auch für interessierte Eltern geöffnet. Bereits während unseres Parcours haben die Kinder sich einige Stationen gemerkt, die sie unbedingt ihren Eltern zeigen und noch einmal gemeinsam ausprobieren wollen. So sieht man ab Nachmittag also auch eine Vielzahl an Eltern mit Krücken, Blindenstock und Gewichten herumhantieren.

Gegen 15 Uhr leert es sich dann allmählich und von allen Seiten ist nur ein zufriedenes, glückliches Gemurmel zu hören – die beeindruckenden Erfahrungen müssen erst einmal verdaut werden. Am nächsten Tag sind sich dann alle einig: Gerade für uns als Schule mit nichtbehinderten und behinderten Kindern im gemeinsamen Unterricht (GU) war das wirklich das beste Projekt, das wir uns vorstellen konnten! Der eben nicht ganz normale Tag an unserer Schule hat Kinder, Eltern und das gesamte Schulteam für ein Leben mit Behinderung auf ganz einzigartige Weise sensibilisiert.

Vielen Dank dafür!